„Chance oder Risiko“

Aufmerksame, aber auch diskussionsfreudige Teilnehmer der Veranstaltung zum Thema Zuwanderung. Foto: Ewert

 

Gießener Anzeiger vom 19.03.2015

„Chance oder Risiko“

GIESSEN (ewe). Der ebenso schwierigen wie dauerhaften Thematik „Zuwanderung in Deutschland – Chancen und Herausforderungen oder Risiken und Nebenwirkung“ widmete sich eine Diskussionsveranstaltung der FDP-nahen „Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit“ und der Karl-Hermann-Flach-Stiftung, zu der die Leiterin deren hessischer Regionalbüros, Cornelia Holtmann, in das Gießener Hotel Steinsgarten eingeladen hatte.

Geleitet vom Moderator Werner Schlierike, hatten auf dem Podium Annette Greilich, Leiterin der Friedrich-Feld-Schule (FFS) Gießen, Prof. Dr. Yasar Sarikaya vom Lehrstuhl für islamische Theologie und ihre Didaktik an der Uni Gießen, Dr. Martin Pott, Geschäftsführer der Handwerkskammer Wiesbaden, sowie Wolfgang Greilich (FDP), Vizepräsident des Hessischen Landtages, Platz genommen. Am Ende der regen Diskussion auch mit den Besuchern waren sie sich einig: Das Zuwanderungs- und Aufenthaltsrecht muss geändert und den Realitäten und Erfordernissen angepasst werden.

Annette Greilich leitet mit der FFS eine von nur drei Schulen in Hessen, an denen für Kinder von Asylanten und Flüchtlingen als allererstes Deutsch gelehrt wird. Denn unter den jungen Neuankömmlingen seien auch etliche, die in ihrer eigenen Sprache weder lesen noch schreiben könnten. Und auch darin war sich das Podium einig: Sprachkompetenz ist die Grundlage für alle weiteren Maßnahmen. Greilich bescheinigte allen diesen Schülern, hinter denen fast ausnahmslos eine schwere, oft traumatische Zeit liege, Wissbegier, „von der sich viele der einheimischen Schüler eine Scheibe abschneiden könnten“.

Auf dem Feld der „Integration durch Ausbildung“ habe das Handwerk mittlerweile viel Erfahrung. Angesichts der Tatsache, dass jeder fünfte im Handwerk Beschäftigte einen Migrationshintergrund habe – bei den Auszubildenden sei es mittlerweile jeder zweite -, ist für Pott das Handwerk ein „beispielhafter Integrationsmotor“. Es gelte, gerade jungen Zuwanderern eine berufliche Perspektive zu bieten, wozu das Handwerk prädestiniert sei. Allerdings müsse dazu die Praxis der Duldung im Ausländerrecht schleunigst geändert werden. „Wir brauchen Aufenthaltsgenehmigungen für junge Menschen, die bei uns drei Jahre lang einen Beruf erlernen, von der Wirtschaft dringend gebraucht werden, immer aber mit der Angst im Nacken leben, jederzeit abgeschoben werden zu können. Das mache laut Pott keinen Sinn.

„Wir brauchen ein Zuwanderungsgesetz mit völlig neuen Kriterien“, stimmte MdL Wolfgang Greilich zu. Staatlicherseits müssten verkrustete Strukturen endlich aufgelöst werden. Hierzu zähle auch das Arbeitsverbot für Flüchtlinge. Hier sei ein grundlegender Bewusstseinswandel und eine Veränderung der politischen und rechtlichen Strukturen nötig. Und zwar schnell: „Wir brauchen diese Menschen angesichts eines Fachkräftebedarfs von 200 000 jährlich in diesem Land.“

Prof. Sarikaya, der an der Uni Gießen Lehrer für den islamischen Religionsunterricht ausbildet, sieht in der Gleichstellung mit dem katholischen und evangelischen Religionsunterricht ein Ende der bislang praktizierten Sonderbehandlung der muslimischen Schüler. Durch das Fach eines islamischen Religionsunterrichtes „erreichen wir Kinder und Jugendliche, die sonst nicht erreicht werden“, so Sarikaya. Dieser Religionsunterricht erziehe abseits jeglicher Indoktrination zu religiöser Mündigkeit mit universitär ausgebildeten Lehrkräften, die ausdrücklich keine „religiösen Autoritäten“ seien. Der Professor verkennt nicht die Gefahren, die von radikalen Gruppen wie den Salafisten und anderen ausgehen, ist aber überzeugt, dass sich in Deutschland und Europa „auf längere Sicht eine moderne Interpretation des Islams“ durchsetzen werde.