Zwei Schilder und eine Urkunde erhält die Wirtschaftsschule am Oswaldsgarten: Sophie Rohnke (11G1), Aron Heinhold (11G2), Jona Schütze (11G2), Jorma John (11G1), Nicola Beer, Annette Greilich und Sabrina Becker (v. l.). Foto: Smat © Smat

Gießener Allgemeine vom 06.12.2022, Seite 20

»83 Prozent sind ein Statement«

Wirtschaftsschule am Oswaldsgarten wird erste »Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage« in Gießen

Gießen (lea). »Ich setze mich dafür ein, dass meine Schule nachhaltige Projekte, Aktionen und Veranstaltungen durchführt, um Diskriminierungen, insbesondere Rassismus, zu überwinden.« So lautet der erste von drei Sätzen einer Selbstverpflichtung. Um zu einer »Schule ohne Rassismus« zu werden, muss sie von mindestens 70 Prozent der Schulmitglieder unterschrieben werden. In der Wirtschaftsschule am Oswaldsgarten waren es 83 Prozent.

»83 Prozent sind ein Statement«, betont Nicola Beer, die den Eintritt der Schule ins Netzwerk als Patin unterstützt. Sie ist Mitglied im Europäischen Parlament, dessen Vizepräsidentin und Sonderbeauftragte für die Bekämpfung von Diskriminierung aufgrund der Religion. Sie sagt: »Ich bin dankbar und stolz, Patin für diese Schule zu sein!«

Damit ist die Wirtschaftsschule am Oswaldsgarten nun eine von 3800 »Schulen ohne Rassismus« mit zwei Millionen Schülerinnen und Schülern bundesweit. Das Netzwerk von Schulen, die sich aktiv gegen Diskriminierung einsetzen, existiert seit 1995.

Die Landeskoordinatorin des Netzwerkes, Sabrina Becker, betont bei der Übergabe des Schildes »Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage«, dass dies der eigentliche Startschuss für das Projekt sei. »Jetzt sorgt ihr dafür, das Projekt mit Leben zu füllen«, wendet sie sich an die Schulgemeinschaft. Das Schild bedeute nicht, dass es keinen Rassismus mehr geben werde, sondern stehe für die Bereitschaft, nicht wegzuschauen und sich im Ernstfall Hilfe zu holen. Auch ein kritisches Auseinandersetzen mit der eigenen Person gehöre dazu. Dass in dieser Schule mit Jugendlichen aus 35 Herkunftsländern Vielfalt eine große Rolle spielt, wird auch während des Programms rund um die Verleihung des Schildes klar. Es wird abgerundet mit einer Performance, in der die Schülerinnen und Schüler in verschiedenen Muttersprachen erklären, was für sie Courage und Toleranz bedeuten. Ein weiterer Schüler hat ein Video zu dem Lied »Baraye« geschnitten, der inoffiziellen Hymne der Proteste in Iran. Darin sind auch Aufnahmen der Demonstrationen in Gießen zu sehen. Durch das Programm führt Eleni Sengkergki. »Ich finde es toll, dass wir dabei sind!«, sagt die Schülerin der 13. Klasse. »Ich bin selbst keine Deutsche und finde es super, dass wir uns engagieren können«.

Beeindruckt von Israel-Austausch

Am Ende der Veranstaltung präsentieren Elftklässler eine Fotowand mit Bildern ihres gerade erlebten Austauschs mit Israel, der erstmalig an der Wirtschaftsschule am Oswaldsgarten organisiert wurde. Besonders beeindruckend fanden die acht Schülerinnen und Schüler das Zusammenleben der Religionen in Israel. Im Rahmen des Jerusalem-Besuches war die Gruppe auch in der Gedenkstätte Yad Vashem. Man erfahre zwar in Deutschland viel über den Holocaust, aber es sei etwas anderes, als Vertreter des eigenen Landes vor Ort zu sein, sagt Sophie Rohnke. »Es wird noch einmal bewusster: Ich habe eine Verantwortung, dass das nie wieder passiert.« Schulleiterin Annette Greilich kritisiert, dass es keine nennenswerten Zuschüsse für Schulfahrten nach Israel gebe: »Das finde ich peinlich für einen Staat, der den Holocaust verursacht hat!«

Die Wirtschaftsschule am Oswaldsgarten wird dieses Jahr 100 Jahre alt. »Früher hieß die Schule Friedrich-Feld-Schule«, erzählt Greilich. Das ist der Name des Mannes, der ab dem Jahr 1923 Rektor dort gewesen ist. Durch Recherchen mithilfe des Stadtarchivs sei 2015 herausgekommen, dass Feld in seinen Schriften ein aktiver Unterstützer der Nationalsozialisten gewesen sei. 2016 wurde die Schule deswegen in »Wirtschaftsschule am Oswaldsgarten« umbenannt. »Für mich schließt sich heute mit der Benennung zur ›Schule ohne Rassismus‹ der Kreis der Aufarbeitung«, erklärt Greilich.

Gießener Anzeiger vom 05.12.2022, Seite 9

Klares Bekenntnis gegen Hass

Von Elisabeth Smat

Mit musikalischen und multilingualen Darbietungen feierte die Wirtschaftsschule am Oswaldsgarten (WSO) ihren Beitritt zum bundesweiten Netzwerk »Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage«.

Gießen. Mit musikalischen und multilingualen Darbietungen feierten die Schülerinnen und Schüler der Wirtschaftsschule am Oswaldsgarten (WSO) ihren Beitritt zum bundesweiten Netzwerk »Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage«.

Verpflichtung zur Auseinandersetzung

Als größtes Netzwerk Deutschlands mit über 3800 Schulen und somit über zwei Millionen teilnehmenden Schülern setzt sich die Vereinigung für Projekte und Aktionen gegen Rassismus und Diskriminierung ein. Dies begrüßt die WSO, die Schüler aus über 35 Ländern unterrichtet und seit 2013 das Bildungsangebot Integration durch Anschluss und Abschluss anbietet. »Dies ist keine Auszeichnung für getane Leistungen, sondern der Beginn eurer Anstrengungen. Hiermit verpflichtet ihr euch, euch mit Rassismus auseinanderzusetzen und euch dagegen zu stellen«, ermahnte Sabrina Becker, Koordinatorin des Netzwerks für Hessen, die Schulgemeinschaft bei der Übergabe einer Urkunde und zwei Schildern mit dem Namen des Netzwerks.

»Die Schilder werden an den Schulgebäuden angebracht, damit jeder weiß, wofür wir stehen«, verkündete Schulleiterin Annette Greilich in ihrer Ansprache. »Wir dürfen uns jetzt nicht ausruhen, sondern müssen weiter daran arbeiten, damit jeder sich wohlfühlt.«

Jede Schule, die Teil des Netzwerks »Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage« ist, benötigt einen offiziellen Paten oder Patin. Für die WSO übernimmt Nicola Beer, Vizepräsidentin und Mitglied des Europäischen Parlaments und Sonderbeauftragte für die Bekämpfung von Diskriminierung aufgrund der Religion, einschließlich Antisemitismus, die Patenschaft. »Ich bin sehr dankbar und stolz gefragt worden zu sein, diese zu übernehmen«, verriet Beer. In ihrer Rolle im Europäischen Parlament habe sie gelernt, was die größte Gefahr für das Zusammenleben sei: Hass. »Hass gegenüber jemandem, weil er oder sie anders ist. Es ist wichtig, Unterschiede zwischen den Menschen wahrzunehmen, zu respektieren und aus ihnen zu lernen.« Im gleichen Zug erinnerte sie die Schülerschaft daran, dass bereits aus kleinen Momenten wie einer Beleidigung Angst oder ein größerer Konflikt erwachsen kann.

Deutliches Votum

Die Idee, Teil des Netzwerks zu werden, sei aus der Lehrerschaft als Reaktion auf ein »deutliches Missfallen« mancher Schüler auf diskriminierende Vorfälle gekommen. »Wir haben gesehen, dass wir aktiv werden müssen«, sagte Greilich. Vor den Sommerferien hat eine schulweite Abstimmung zum Beitritt stattgefunden, in der alle an der Schule Beteiligten, Hausmeister miteingeschlossen, einbezogen wurden. »Wir hätten 70 Prozent erreichen müssen. Schlussendlich haben sich 83 Prozent der Schulgemeinde dafür ausgesprochen«, erklärte die Schulleiterin.

Nicola Beer zeigt sich von der hohen Zustimmung beeindruckt: »Es ist ein klares Statement gegen Hass, gegen Diskriminierung, gegen Rassismus. Das Ergebnis zeigt, dass diese Entscheidung aus der Gemeinschaft herauskommt.«

Dass der Eintritt in das Netzwerk in das hundertjährige Bestehen der Schule fällt, sei ein glücklicher Zufall. »Mit der Aufnahme in das Netzwerk schließt sich der Kreis der Aufarbeitung der Vergangenheit der Schule«, erzählte die Schulleiterin. 2016 wurde, nach einer Untersuchung des ehemaligen Schulnamengebers Friedrich Feld und der Feststellung, dass dieser überzeugter Nationalsozialist war, die Bildungseinrichtung in Wirtschaftsschule am Oswaldsgarten umbenannt. »Wir gehen initiativ gegen Nazismus und Antisemitismus vor«, sagte Greilich.