Der neuen Heimat auf der Spur

Eine multikulturelle Reisegruppe der Wirtschaftsschule am Oswaldsgarten erkundet Berlin. Zusammen mit deutschen Berufsschülern besichtigte eine Flüchtlingsgruppe wichtige Orte der deutschen Geschichte. (Fotos: S. Schweitzer)

 

Gießener Allgemeine vom 11.04.2017, Seite 23

Sie sind aus Syrien, Somalia oder Eritrea geflohen. Von Gießen aus besichtigten junge Flüchtlinge gemeinsam mit deutschen Schülern die Hauptstadt ihrer neuen Heimat. Eine Stiftung aus Mittelhessen macht’s möglich.

Von Eva Diehl

Die Sonne ist hinter dem wolkenverhangenen Himmel zu sehen, als die jungen Gießener auf den Pariser Platz in Berlin Mitte strömen. Gut die Hälfte von ihnen ist geflohen – zum Beispiel vor Krieg, Verfolgung oder Diskriminierung. Nun fotografieren sie sich gegenseitig vor dem Brandenburger Tor. Für fünf Tage im März sind die deutschen Schüler und die jugendlichen Flüchtlinge gemeinsam in die Bundeshauptstadt gereist. Auf dem Programm standen Politik, Geschichte und Kultur der neuen beziehungsweise alten Heimat. Die Studienfahrt nach Berlin ist Teil des Integrationsprojektes »DaZuLERNEN« an der Wirtschaftsschule am Oswaldsgarten. In der beruflichen Fachschule (ehemals Friedrich-Feld-Schule) sollen Schüler und Flüchtlinge im Alter von 17 bis 21 Jahren voneinander lernen. Eine Berufsfachschulklasse trifft sich dazu regelmäßig mit einer Flüchtlingsklasse. Die Kosten für die Reise der 30 Schüler vom 17. bis 21. März übernahm die Bürgerstiftung Mittelhessen. Die Stiftung fördert gesellschaftliche Vorhaben in der Region, für die keine öffentlichen Gelder zur Verfügung stehen.

Viele Fragen zur Gedenkstätte

Reichstag, Checkpoint Charlie oder das Museum »The Story of Berlin« – auf der Agenda der multikulturellen Reisegruppe stehen die Klassiker der deutschen Zeitgeschichte. Im Bundestag besichtigen sie die Kuppel und besuchen einen Vortrag zur Geschichte des Gebäudes sowie zur heutigen Nutzung und erfahren, wie eine Bundestagssitzung abläuft. Die Klassiker eines jeden Berlinbesuchs von Alexanderplatz bis zum Zoologischen Garten besichtigen die Jugendlichen bei einer Stadtrundfahrt. Gespannte Gesichter und viele Fragen, vor allem von den Flüchtlingen, gab es an der Gedenkstätte Berliner Mauer. Dieses wichtige Kapitel der jüngeren Geschichte verfolgten Schüler in leichter Sprache. Auch das Holocaust-Mahnmal weckte Interesse der Jugendlichen, sowohl am historischen Hintergrund als auch an der künstlerischen Umsetzung in Form eines Denkmals.

Am Rande der geschichtsträchtigen Orte Berlins sprechen einige Flüchtlinge über ihre persönlichen Geschichten. Einige sind zwei bis drei Jahre in Deutschland, andere erst seit wenigen Monaten – entsprechend unterschiedlich sind ihre Deutschkenntnisse. Jugendliche aus Somalia und Eritrea berichten, sie seien vor dem Krieg aus ihren Heimatländern geflohen. Teilweise hätten die eigenen Eltern sie weggeschickt, um sie zu schützen. Eine Gruppe junger Mädchen aus Syrien ist sich einig: Sie wollen in Europa leben. Anders als unter den gesellschaftlichen Zwängen in ihrer Heimat könnten sie hier nach ihren Vorstellungen leben. Ein gutes und sicheres Leben wünschen sich die meisten der jungen Flüchtlinge. Viele erhoffen sich eine gute Schulbildung und Berufsausbildung; einige wollen später einmal studieren.

Projekt »DaZuLERNEN« (eb).

Das Projekt »DaZuLERNEN« ist vor fast fünf Jahren auf Initiative einiger Schüler einer elften Berufsfachschulklasse entstanden. Die Berufsschüler halfen damals in ihren Freistunden freiwillig bei einem speziellen Integrationsunterricht für junge Flüchtlinge. Geleitet wird das Projekt von Deutschlehrerin Christina Lang. Seit einigen Jahren findet sich immer eine Klasse, die dieses Projekt weiterträgt. Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck würdigte das Projekt sogar mit einem Besuch.