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Gießener Allgemeine vom 13.06. 2022, Seite 7

Kritischer Blick auf die eigene Vergangenheit

Vortrag zum 100-jährigen Bestehen der Wirtschaftsschule am Oswaldsgarten über früheren Namensgeber

Gießen (son). Die Wirtschaftsschule am Oswaldsgarten feiert ihr 100-jähriges Bestehen. »Es ist daher angemessen, sich detaillierter mit der Geschichte der Schule auseinanderzusetzen«, sagte Schulleiterin Annette Greilich. Für einen Gastvortrag zum Jubiläum hatte die Schule Professor Volker Bank von der TU Chemnitz gewonnen. Er sprach über die Geschichte der Berufs- und Wirtschaftspädagogik und ihre problematischen Verbindungen zur völkischen Politik des Nationalsozialismus.

Der Hintergrund dieses Themas berührt direkt die Geschichte der Gießener Schule – hieß die Bildungsanstalt von 1968 bis 2016 »Friedrich-Feld-Schule«. Feld galt als der Erfinder der höheren Handelsschule und war der erste Schulleiter dieser Schulform in Gießen. Auch hatte er die erste ordentliche Professur der Wirtschaftspädagogik inne. »Ist es nicht stimmig, nicht nur auf 100 Jahre Schule stolz zu sein, sondern auch auf den ehemaligen Schulleiter, der vor rund 100 Jahren hier in Gießen wirkte?« fragte Bank.

Stattdessen gratulierte Bank der Schule zunächst zum neuen Namen »Wirtschaftsschule am Oswaldsgarten«. Denn der Name Friedrich Feld stehe eben nicht nur für die Verdienste um die Wirtschaftspädagogik, sondern auch für die Unterstützung des nationalsozialistischen Gedankenguts im Dritten Reich. »Wer im Jahr 1939 Professor wird, kann niemand sein, der den neuen Machthabern in irgendeiner Weise kritisch begegnet wäre, sondern vielmehr mit ihnen sympathisierte«, sagte Bank.

»Aber gibt es bessere Ahnherren bei der Wirtschaftspädagogik?, fragte Bank, der schließlich den Namen Theodor Franke in den Raum warf, der als erster Theoretiker der Wirtschaftspädagogik gelten kann und 1863 im sächsischen Glauchau geboren wurde. »Er war ein einfacher Berufsschullehrer«. Wäre Franke Gymnasiallehrer gewesen, hätte man ihn sicher für ein Universalgenie gehalten. Er formulierte Wirtschaftskunde als Leitmotiv in jeglichem Schulunterricht und nannte dies Wirtschaftspädagogik. Für Franke stand die Zweckmäßigkeit der Erziehungsziele im Vordergrund, die keinem übergeordneten Bildungsideal folgten, sondern spezifisch für Volks- und Berufszwecke Gültigkeit haben sollten. »Die Bildung sollte die Menschen dazu befähigen, zur Wirtschaftlichkeit des Gemeinwesens beitragen zu können und sich unabhängig von Unterstützung der Gesellschaft zu machen«. Aber auch Franke habe sich im politischen Kontext nicht unproblematisch geäußert, wie Bank feststellte. Er zitierte Franke aus einer Schrift aus dem Jahr 1916, wo er über den 1. Weltkrieg schrieb und von den »bösen Russen« und dem »guten General Hindenburg« schrieb.

Bank sagt, es habe kaum einen unbescholtenden Berufs- und Wirtschaftspädagogen aus der vorderen Hälfte des 20. Jahrhunderts gegeben. Das relativiere nicht das Gedankengut von Friedrich Feld. Man könne sich die Frage stellen, warum es in der Wirtschaftspädagogik so viele Befürworter des Nationalsozialismus gab. »Leider gibt es diesbezüglich noch zu wenig Forschung«, sagte Bank.

Feststellen könne man aber, dass Wirtschaft im Kontext der Neuhumanisten wie Goethe oder Schiller als etwas Anrüchiges galt. Das berufliche Lernen wurde despektierlich betrachtet. »Das wirkt bis heute«, sagte Bank. Manche Berufschullehrkräfte lebten mit dem Makel »Zweite Wahl.« »Die Nazis hatten diese Ungleichheit ausgenutzt.«

Bank mahnte, Konsequenzen aus den Erfahrungen zu ziehen. So müsse der ehemalige Name der Schule »Friedrich Feld«, dazu führen, sich mit ihm zu beschäftigen. Man dürfe nicht vergesse, wer er war. Seine Vita mache klar, dass es kein Schwarz und Weiß gebe. Außerdem sei seine Vita auch eine Mahnung, dass Demokratie nichts ist, das ein für alle Mal gegeben ist – »sondern man sein Leben lang dafür einstehen muss.«

Gießener Anzeiger vom 13.06.2022, Seite 17