Unsere unbekannten Nachbarn

Intendantin Catherine Miville und Bezhad Borhani stellen mit Betreuerin Edeltraud Alavi die Schüler der Friedrich-Feld-Schule vor.

Gießener Anzeiger vom 11.11.2014

Unsere unbekannten Nachbarn

GIESSEN (uhg). Unsere unbekannten Nachbarn, die Flüchtlinge aus aller Welt, die in der Aufnahmeeinrichtung in der „Margarethenhütte“, in der Rödgener Straße, in Wohnheimen der Caritas oder an anderen Orten untergebracht sind: Das Stadttheater Gießen bot jetzt die Möglichkeit, einige von ihnen kennenzulernen. Eins war schnell klar: Von Musik und auch von Rhythmus und von Sport verstehen sie jede Menge. Schon vor dem Theatergebäude empfingen die Besucher wilde Trommelklänge. Hier waren die jungen Perkussionisten der AWO-Jugendpflege am Werk.

Grenzen um Europa

„Refugees welcome“, unter diesem Titel hatte das Stadttheater zu einem Benefizkonzert eingeladen. In Kooperation mit dem Beratungswerk Hessen gegen Rechtsextremismus und der Sportjugend Hessen stand ein bewusst lebensfroher Abend auf dem Programm, auch wenn es immer wieder kritische und traurige Momente gab.

„Reichspogromnacht und Mauerfall: Wohl kaum ein anderes Datum in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts hat eine derartige Bedeutung“, betonte Intendantin Catherine Miville vor einem bis hinauf in die Ränge gefüllten Haus. Auch wenn in Deutschland in diesem Jahr der 25. Jahrestag des Mauerfalls gefeiert wird, müssen andernorts Hunderte von Menschen vor Unruhen, Krieg und Krankheiten fliehen. Die Grenzen um Europa werden immer undurchdringlicher. Das Stadttheater habe sich entschieden, zu diesem geschichtsträchtigen Datum nicht noch eine weitere Lesung durchzuführen.

„Die Flüchtlingsproblematik hat bisher die Welt der Stadttheater nicht erreicht“. Umso wichtiger, dass hier ein Zugang geschaffen wird, ergänzte Behzad Borhani, Mitarbeiter der Öffentlichkeitsarbeit am Stadttheater.

Zu Gast war die Band „Strom und Wasser“ mit Sängerinnen aus verschiedenen Flüchtlingsheimen. Heinz Ratz und seine drei Musiker spielten eine bunte Mischung aus Rap und Weltmusik, Ska und Reggae. Die da so anonym als „die Flüchtlingsfrauen“ auf dem Programm angekündigt wurden, entpuppten sich als ganz exquisite Sängerinnen, die mit ihren ausdrucksstarken und warmen Stimmen das Publikum vom ersten Takt an mitrissen: Karolin aus Kenia und Jamila von der Elfenbeinküste. Esther, ebenfalls aus Kenia, sang sich mit dem durch Belafonte/Makeba bekannt gewordenen Traditional „Malaika“ gleich in die Herzen der Zuschauer.

Bereichert wurden die Darbietungen durch DaZ (Deutsch als Zweitsprache)-Schülerinnen und Schüler der Friedrich-Feld-Schule Gießen, die mit ihrer Betreuerin Edeltraud Alavi auf die Bühne kamen und gemeinsam „Bruder Jakob“ sangen und Lieder in ihrer jeweiligen Landessprache vorstellten.

Neben der Musik standen auch Redebeiträge auf dem Programm. Dr. Reiner Becker, Landeskoordinator beim Beratungsnetzwerk Hessen, berichtete über die hindernisreiche Arbeit der mobilen Interventionsgruppe bei Kommunen und Vereinen. Angelika Ribler, die Referentin der Sportjugend Hessen informierte über das Projekt „Sport und Flüchtlinge“. Ziel sei es, auszuloten, welche Chancen, aber auch Grenzen die Sportvereine bei der Integration von Flüchtlingen haben.

Der Erlös des Abends kommt dem Sportkreis Gießen, der durch seinen Vorsitzenden Dr. Heinz Zielinski vertreten war, zugute. Das Projekt „Sport und Flüchtlinge“ wird bis Ende des Jahres durch das Bundesprogramm „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ des Bundesfamilienministeriums gefördert.