Trommeln für Flüchtlinge

Lautstark Gehör verschafft: Bereits vor dem Eingang zum Theater trommelt die Gruppe der AWO-Jugendpflege. (Foto: gbp)

Gießener Allgemeine vom 11.11.2014

Trommeln für Flüchtlinge

»Refugees welcome«: Benefizkonzert im Stadttheater

Während sich am Sonntagabend in Berlin die Mauer noch einmal symbolisch auflöste, um an den Mauerfall vor 25 Jahren zu erinnern, verlieh das Stadttheater an diesem geschichtsträchtigen Datum mit dem Benefizkonzert »Refugees welcome« Flüchtlingen eine Stimme: Musik, Akrobatik, Interviews und bewegende Berichte gegen die existierenden Grenzen – die zwischen Ländern und die in deutschen Köpfen, Herzen und Gesetzen.

Neben der Band Strom & Wasser und Die Flüchtlingsfrauen traten auch lokale Gruppen auf, zum Beispiel die Trommelgruppe Die Welt der AWO-Jugendpflege Gießen, die das Publikum bereits auf der Freitreppe vor dem Theater mit mitreißenden Trommelrhythmen empfing. »Ein großes Miteinanderkonzert« versprach Intendantin Cathérine Miville, die gemeinsam mit Behzad Borhani den Abend moderierte und die Kooperationspartner des Benefizkonzerts interviewte. Der Erlös des Abends, der unter Schirmherrschaft des hessischen Innenministers Peter Beuth stand, kommt dem Sportkreis Gießen für seine Arbeit mit den Flüchtlingen zugute.

»Im Spiegellabyrinth der Lüge«, »Hartschalenkostüme« oder »Ihr könnt sie nicht zwingen, von Liebe zu singen« heißen die Lieder von Strom & Wasser, für die Sänger und Gitarrist Heinz Ratz frech-poetisch-politische Texte mit viel Wortwitz schreibt. Er singt wie eine Mischung aus Rio Reiser, Till Lindemann (Rammstein) und Konstantin Wecker, wird unterstützt von Schlagzeug, Bass und genialen Saxofon-, Akkordeon und Querflötenparts – Ska, Punk, Jazz, Rap oder Rockballade. Strom & Wasser fungiert als Begleit-Band für Musiker aus aller Welt, darunter ausgesprochen hochkarätige, die Ratz in zahllosen Flüchtlingslagern kennengelernt hat. Auf dem politisch unkorrekten Ausdruck »Lager« besteht der engagierte Politbarde übrigens; es komme den dort herrschenden Zuständen deutlich näher als das nach Zuhause klingende Wort »Heim«. Für das Konzert in Gießen hat Ratz seine Albanienreise abgebrochen, um mit der Band den künstlerischen Darbietungen von Flüchtlingen eine musikalische Plattform zu bieten: Jamila von der Elfenbeinküste sowie Esther und Caro aus Kenia, die mit ihrer Lebensfreude und Liedern aus ihren Heimatländern stürmischen Applaus ernteten, der hervorragenden iranische Pianistin Akram, genannt »Mama«, und dem Akrobaten Tamero aus Äthiopien.

»Refugees welcome« hieß es auch für die AWO-Trommelgruppe unter Leitung von Nader Madjidian und für rund 40 Jugendliche aus den DaZ-Klassen (»Deutsch als Zweitsprache «) der Friedrich-Feld-Schule mit Betreuerin Edeltraud Alavi. Die sogenannten »minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge« sangen mit ansteckender Begeisterung »Bruder Jakob«, einige Solisten Lieder aus ihren Heimatländern. Eine zauberhafte, akrobatische Choreografie gab es von Manja Mörl und ihrem Partner als Duo zarda.

Das Konzert war zudem Auftaktveranstaltung für das Projekt »Sport und Flüchtlinge« der Sportjugend Hessen, das die Projektleiterin und sportpolitische Referentin Angelika Ribler vorstellte. Das Projekt will Sportvereine bei der Integration von Flüchtlingen unterstützen. Als Kooperationspartner stellte Landeskoordinator Dr. Reiner Becker das Beratungsnetzwerk Hessen, »Mobile Intervention gegen  Rechtsextremismus«, vor, das ein proaktives Beratungsmodul für Kommunen gestartet hat, die Flüchtlinge aufnehmen.

Dominik Breuer, ehemals Ensemblemitglied des Stadttheaters, berichtete vom Projekt »Strangers in Babylon« in Videosequenzen, die das Brachland-Ensemble mit Flüchtlingen gedreht hat. In einem Video beschreibt Ismail aus Liberia, wovon er träumt: »Ich möchte Teil der arbeitenden Bevölkerung sein.« Und: »Das Härteste ist, in diesem Haus zu leben und sie füttern dich durch.« Julia Erb und Frauke Vogt erzählten von der Ausstellung »Grenzfahrt … endlich drüben?«, die mit der Öffnung ihres Bauwagens an diesem Abend die 1000er-Grenze ihrer Besucherzahl gesprengt hatte.

Mächtig Stimmung von den Rängen und stehender Applaus nach dreieinhalb Stunden für die Akteure und ein gemeinsames »Jambo Bwana« als lautstark geforderte Zugabe für das Publikum. Gabi Beutelspacher