Kampf dem Analphabetentum
Heimische Bildungsvertreter hatten in die Aula von Friedrich-Feld- und Max-Weber-Schule eingeladen. (Foto: Docter)
Gießener Anzeiger vom 12.09.2013
GIESSEN (fod). Es ist angesichts eines solch weit entwickelten Staates wie Deutschland kaum zu glauben. Aber nach einer im Januar dieses Jahres veröffentlichten Studie gibt es hierzulande rund 7,5 Millionen Menschen, die kaum lesen und schreiben können, also Analphabeten sind. Viele von ihnen müssen aufgrund eines fehlenden Schul- oder Berufsabschlusses im Niedriglohnsektor arbeiten oder sind arbeitslos. Die Quote an Geringqualifizierten ist besonders hoch im verarbeitenden Gewerbe (1,4 Millionen), im Handel (1,1 Millionen) und im Gesundheitsbereich (800000). Die Lösung und Hilfe für Betroffene liegt nach Meinung von Experten in einer Intensivierung „arbeitsplatzorientierter Grundbildung“.
Und genau dieses Thema stand jetzt im Mittelpunkt eines Forums, zu dem Hessencampus Mittelhessen heimische Bildungsvertreter in die Aula von Friedrich-Feld- und Max-Weber-Schule eingeladen hatte. „Es geht hier um sehr viel“, betonte Schuldezernentin Astrid Eibelshäuser, als sie die rund 50 Teilnehmer gemeinsam mit FFS-Schulleiterin Annette Greilich und Joachim Velten vom Bildungswerk Hessen Metall begrüßte. Hänge doch von der Beherrschung von Lesen, Schreiben und Rechnen nicht nur der eigene Berufsweg ab. „Auch geht es darum, den eigenen Kindern vorlesen zu können oder sich Informationen vor deren Einschulung zu besorgen“, nannte sie zwei Beispiele aus dem Alltag. Für Betroffene sei dies oftmals „mit großer Scham verbunden, es wird viel Mühe aufgebracht, es zu verheimlichen“.
Kein Konsens
Für Rosemarie Klein vom Büro für berufliche Bildungsplanung in Dortmund gilt es daher, bei der Unterstützung „die vorhandenen Kompetenzen zu betonen und nicht die Defizite“. Wobei es selbst unter Experten „noch keinen Konsens gibt“, welcher Weg der arbeitsplatzorientierten Grundbildung für eine Nachqualifizierung denn der beste ist. Nach ihrer Vorstellung müssten sich „Betriebe als Lernorte begreifen“ – was häufig noch nicht der Fall sei – und „Vorgesetzte mit in die Verantwortung genommen“ werden. Zudem verlange es ein „hohes Maß an Sensibilität“ und von den Betroffenen „Mut und Überwindung von Gewohnheiten“, wenn etwa zum Vertuschen Aufgaben unter Kollegen entsprechend aufgeteilt werden. Astrid Eibelshäuser forderte zudem einen „niedrigschwelligen Zugang“, um jeden erreichen zu können. In Gießen würden sich bereits seit vielen Jahren Bildungsträger in der Nachqualifizierung engagieren, lobte sie die Anstrengungen. Einige davon waren auch bei der Veranstaltung als Teilnehmer oder Referenten vertreten, von der Volkshochschule über die Zaug GmbH bis hin zur Friedrich-Feld-Schule, die ihr Kursangebot „Alpha International“ vorstellte. Laut Klein müsste Unternehmen bewusster gemacht werden, welch „großer betrieblicher Nutzen“ für sie darin steckt. Während viele Analphabeten fürchteten, in eine lange Lernschleife zu geraten, und daher zeitlich kürzere Angebote vorziehen würden.
Gießener Allgemeine Zeitung vom 17.09.2013
Zum Thema „arbeitsplatzorientierte Grundbildung“ war die Friedrich-Feld-Schule (links Lehrerin Christina Lang) mit einem Stand ihres Kurses „Alpha international“ beim Froum in der Aula vertreten (Foto: Schepp)