Ein­bli­cke in ame­ri­ka­ni­sche Men­ta­li­tät

Gießener Anzeiger vom 27.04.2016, Seite 15

GIES­SEN (msh). In den USA wird im No­vem­ber über die Nach­fol­ge von Prä­si­dent Bar­ack Oba­ma ab­ge­stimmt. Auch hier­zu­lan­de wird mit Ar­gu­sau­gen der Wahl­kampf ver­folgt. Da­bei sind die deutsch-ame­ri­ka­ni­schen Be­zie­hun­gen längst nicht mehr so un­be­la­stet wie sie ein­mal wa­ren. Er­in­nert sei hier an die Aus­ein­an­der­set­zun­gen über das trans­at­lan­ti­sche Frei­han­dels­ab­kom­men TTIP oder die NSA-Af­fä­re. In der Fried­rich-Feld-Schu­le re­fe­rier­te nun der Jour­na­list und Ame­ri­ka-Ken­ner Dr. Christ­oph von Mar­schall vor über 100 Ober­stu­fen­schü­lern über die trans­at­lan­ti­schen Be­zie­hun­gen und die Vor­wah­len. Und gab ei­nen span­nen­den Ein­blick in die ame­ri­ka­ni­sche Men­ta­li­tät. Ein­ge­la­den hat­ten die Fried­rich-Nau­mann-Stif­tung für die Frei­heit und die Karl-Her­mann-Flach-Stif­tung.

„Es ist schon ein un­ge­wöhn­li­ches Wahl­jahr, denn vie­le Ame­ri­ka­ner la­gen mit ih­ren Prog­no­sen bis­her falsch“, be­gann von Mar­schall sei­nen Vor­trag. Der Ta­ges­spiegel-Kor­re­spon­dent im Wei­ßen Haus, der auch meh­re­re Jah­re für den Gie­ße­ner An­zei­ger ge­schrie­ben hat, ziel­te da­mit auf ei­ne an­hal­ten­de Pro­tests­tim­mung in den USA ab. Da­durch sei­en die ei­gent­lich un­be­lieb­ten Prä­sid­ent­schafts­kan­di­da­ten wie Do­nald Trump oder Hil­la­ry Clin­ton auf der po­li­ti­schen Büh­ne über­haupt erst er­folg­reich ge­wor­den. „55 Pro­zent der Ame­ri­ka­ner mö­gen Clin­ton nicht, bei Trump sind es so­gar über 60 Pro­zent“, wuss­te er aus ak­tu­el­len Um­fra­ge­er­geb­nis­sen. Trotz­dem wer­den bei­de wohl um das mäch­tigs­te Amt der Welt kon­kur­rie­ren. Für Christ­oph von Mar­schall ist es er­staun­lich, dass es ein Rechts­po­pu­list wie Trump oh­ne jeg­li­che po­li­ti­sche Er­fah­rung so weit schaf­fen konn­te. „In den USA glau­ben vie­le, er­folg­rei­che Ge­schäfts­leu­te sei­en be­son­ders be­fä­higt, gu­te Po­li­tik zu ma­chen“, er­klär­te er das Phä­no­men. In Deutsch­land hin­ge­gen wä­re es un­denk­bar, dass bei­spiels­wei­se Ma­na­ger von Groß­kon­zer­nen zum Bun­des­kanz­ler ge­wählt wer­den könn­ten.

Nach sei­ner Auf­fas­sung hat aber Hil­la­ry Clin­ton die grö­ße­re Chan­ce, im No­vem­ber ge­wählt zu wer­den. Als Grund nann­te er die de­mo­gra­fi­sche Ent­wi­cklung und das sehr spe­ziel­le Wahl­sys­tem in den USA. Denn die USA ha­ben als klas­si­sches Ein­wan­de­rungs­land stets ein star­kes Be­völ­ke­rungs­wachs­tum. „In 20 Jah­ren wer­den dort die heu­ti­gen Min­der­hei­ten die Mehr­heit sein“, prog­nos­ti­zier­te er. Und das kom­me be­son­ders Clin­ton zu­gu­te. „Die La­ti­nos wäh­len als größ­te Min­der­heit fast aus­schließ­lich die De­mo­kra­ten“, weiß von Mar­schall. Aber auch für Frau­en, Afro­ame­ri­ka­ner oder Ho­mo­se­xu­el­le sei­en die De­mo­kra­ten die ein­zig wähl­ba­re Par­tei. Die Re­pu­bli­ka­ner wür­den vor­nehm­lich von wei­ßen al­ten Män­nern ge­wählt. „Al­lein des­halb glau­be ich, dass Trump letz­tend­lich kei­ne Chan­ce ha­ben wird.“

Ab­schlie­ßend er­klär­te der Jour­na­list die ver­meint­li­chen Vor­tei­le von TTIP. So fin­det er es gut, wenn die USA und Eu­ro­pa wirt­schaft­lich en­ger zu­sam­men­ar­bei­ten. „Die trans­at­lan­ti­sche Öko­no­mie ist die Ach­se der Welt­wirt­schaft.“ Der Sta­tus Quo sei aber zu­neh­mend ge­fähr­det, weil Län­der wie Chi­na oder In­dien wirt­schaft­lich im­mer stär­ker wür­den. Al­ler­dings sei­en in die­sen Län­dern vie­le Stan­dards, wie et­wa im Be­reich Si­cher­heit, nie­dri­ger. „Und wenn un­se­re Stan­dards bes­ser sind, müs­sen wir sie auch auf­recht­er­hal­ten.“