Gießener Anzeiger vom 09. November 2020, Seite 13

Vom Geflüchteten zur Fachkraft

Bemerkenswerter Weg eines 22-Jährigen: Mohammed Abdella aus Eritrea ist „Landesbester Auszubildender“ der IHK

Von Petra Zielinski

GIEßEN. Wenn die Polizei ihn vor fünf Jahren nicht in Kassel aus dem Zug geholt hätte, könnte Mohammed Abdella nicht am 8. Dezember die Auszeichnung „Landesbester Auszubildender“ der IHK Gießen-Friedberg entgegennehmen. Eigentlich war der heute 22-Jährige aus Tebeldia (Eritrea) auf dem Weg zu seinem Bruder nach Göteborg, doch dann kam alles anders.

Wie alle jungen Männer in Eritrea sollte auch Mohammed Abdella nach Abschluss der zehnten Klasse vom Militär eingezogen werden. „Die offizielle Dienstzeit beträgt anderthalb Jahre, aber in Wahrheit kommt niemand nach dieser Zeit zurück nach Hause“, weiß er. Er kenne Männer, die bis zu 30 Jahren beim Militär gewesen seien. Aus diesem Grund entschloss sich der junge Mann 2015, zu seinem Bruder nach Schweden aufzubrechen.

„Meine Eltern waren bereits 2012 und 2013 verstorben, nur vier meiner sechs Halbgeschwister lebten damals noch in Eritrea“, berichtet er. Über den Sudan und Libyen führte ihn seine abenteuerliche, zweimonatige Flucht nach Italien. Vor allem in Libyen sei es sehr gefährlich gewesen, erinnert er sich. 1400 Dollar habe ihn schließlich die Überfahrt von Libyen nach Italien gekostet. Auf dem Mittelmeer habe ein italienisches Militärschiff das Flüchtlingsboot aufgegriffen und sicher in den nächsten Hafen gebracht.

Nach fünf Tagen in Italien brach er schließlich in Richtung Schweden auf. Die Reise endete im Mai 2015 auf dem Weg nach Hamburg in Kassel. Drei Tage blieb Mohammed Abdella dort, bevor er weiter in das Aufnahmelager in Gießen gebracht wurde. Schließlich kam er in eine Minderjährigengruppe, lebte im Hotel am Ludwigsplatz, in Wieseck, Reiskirchen und Laubach-Münster. Mit 18 Jahren zog er in eine Dreier-WG nach Gießen. Dort lebt er noch immer. Da er in seiner Heimatstadt keinen Schulabschluss gemacht hatte, holte er diesen an der Wirtschaftsschule am Oswaldsgarten nach. Mit Erfolg: Am 20. Juni 2017 hatte er einen sehr guten Realschulabschluss in der Tasche. In der Klasse für Flüchtlinge hat er die deutsche Sprache erlernt, die er mittlerweile perfekt beherrscht.

Berufserfahrung hatte er vor seinem Schulabschluss keine. „Zuhause habe ich nur auf dem Bauernhof gearbeitet“, sagt er. Aber Mohammed Abdella wusste genau, in welchem Bereich er gerne arbeiten wollte: Der Elektronik. Nach einigen erfolglosen Bewerbungen bot ihm die ZAUG ein Vorbereitungsjahr mit anschließendem Praktikum als Elektroanlagenmonteur an. „Der Beruf hat mir Spaß gemacht, sodass ich am 29. September 2017 meine Ausbildung begonnen habe“, erklärt er. Die eigentlich dreijährige Ausbildung konnte er um ein halbes Jahr verkürzen und bereits im Dezember 2019 seine theoretische Prüfung ablegen. Im Dezember folgte dann die Praxis. „Das gute Ergebnis hat mich nicht so sehr überrascht“, erzählt er im Gespräch mit dieser Zeitung. Schließlich sei die Zwischenprüfung schon sehr gut gelaufen. „Mein Lehrer Josef Fischer, der auch ehrenamtlicher Prüfer bei der IHK Gießen-Friedberg ist, hat mir gesagt, dass ich versuchen soll, Hessenbester zu werden“, sagt er lachend. Und das sei ihm dann schließlich auch gelungen. Während Mohammed Abdella eigenen Aussagen zufolge das Schreiben nicht so liegt, habe ihm Mathematik während seiner Ausbildung am meisten Spaß gemacht. „Wer den Beruf des Elektroanlagenmonteurs ergreifen will, sollte unbedingt Interesse an Mathe haben“, betont er. Die ZAUG habe ihn unterstützt, nach seiner Ausbildung einen passenden Job zu finden, erklärt Abdella, der mittlerweile bei MCRT arbeitet. Zu der Heuchelheimer Firma gelangt er bei gutem Wetter mit dem Rad, bei schlechtem mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Aktuell wurde seine Aufenthaltserlaubnis um drei Jahre verlängert. Mohammed Abdella möchte gerne in Deutschland bleiben und eventuell eine Weiterbildung zum Techniker oder Industriemeister machen. „Ich mag die Kälte hier“, lächelt er. „Und vor allem finde ich es gut, dass man beruflich alle Möglichkeiten offen hat.“ In seiner Heimat sei es nicht üblich, sich selbst einen Beruf auszusuchen. Eine Rückkehr nach Eritrea kommt für ihn nur in Frage, wenn sich die dortige Politik grundlegend ändert.

„Die herausragende Leistung von Herrn Abdella ist ein starkes Signal für die gesellschaftliche Teilhabe von Geflüchteten und ein tolles Beispiel für den Weg vom Geflüchteten zur Fachkraft“, unterstreicht der stellvertretende Leiter des Geschäftsbereiches Aus- und Weiterbildung der IHK Gießen-Friedberg, Kai Schelberg, der sich mit Mohammed Abdella über dessen erfolgreichen Abschluss freut. „Mit diesem Abschluss stehen ihm viele Türen offen, denn eine abgeschlossene Berufsausbildung ist mit die beste Grundlage für ein erfolgreiches Berufsleben.“