Bildung als Schlüssel zu Selbstachtung und Integration

Gießener Anzeiger vom 16.12.2014

Bildung als Schlüssel zu Selbstachtung und Integration

GIESSEN (ewe). Das Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft e. V. und das DGB Bildungswerk Hessen e. V. sorgen und bemühen sich gemeinsam um die Integration hier bereits lebender Menschen aus vielen Teilen der Welt und auch neu ankommender Flüchtlinge. Deutschland ist vom demografischen Wandel stark betroffen. Steigende Lebenserwartung und eine niedrige Geburtenrate werden begleitet durch eine zunehmende ethnische Vielfalt im Land. So ist laut Joachim Velten vom Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft und Birgit Groß vom DGB-Bildungswerk die Integration von zentraler Bedeutung für das soziale Gefüge und den Arbeitsmarkt.

In enger Kooperation mit dem „HESSENCAMPUS Mittelhessen“ fand in der Aula der Friedrich-Feld-Schule Gießen das „Forum Flüchtlinge und Migranten – Bildungsbeschleunigung: die Chance zur Integration?“ statt, in dessen Mittelpunkt ein Vortrag von Prof. Franz Josef Wetz, Professor für Philosophie und Ethik in Schwäbisch-Gmünd, stand, der neben den Bereichen Bildung und Integration noch die Selbstachtung als wichtiges Element hinzufügte. „Wer zu spät kommt, den bestraft seine Langsamkeit“, bezog Wetz einen bekannten Ausspruch auf die Tatsache, dass Bildung die unumstrittene Grundlage der Integration jüngerer Flüchtlinge in unsere Gesellschaft ist. Bildung verleihe Selbstachtung und mache die Migranten zu willkommenen Mitgliedern unseres Gemeinwesens, stellte Wetz vor einem vorwiegend aus jungen Migranten bestehenden Publikum fest.

Damit Bildung die Migranten auch erreiche, müsse sie zeitnah vermittelt werden. Andernfalls drohten die jungen Erwachsenen, abzudriften und ihre Selbstachtung aus Quellen zu speisen, die nicht nur eine Integration verhindern, sondern fast zwangsläufig auch im Widerspruch zu den Grundwerten unserer Gesellschaft stehen. Rund 50 Millionen Menschen sind laut Wetz derzeit weltweit auf der Flucht, von denen etwa zehn Prozent nach Europa fliehen. Wurden 2012 in Deutschland 130 000 Asylanträge gestellt, so werden es 2014 schon 250 000 sein, wobei sich die Zahlen ständig änderten. Nichts ändern werde sich aber an der Notwendigkeit, sich um diese Menschen zu kümmern, die kommen und trotz teilweise großen Argwohns auch bleiben, die trotz aller sozialen Abfederung dennoch in einer Art „Zwischenwelt“ leben. Wetz sieht in Bildung und Arbeit die wirksamsten Gegenmaßnahmen. Spracherwerb („Wir müssen die jungen Flüchtlinge und Asylanten sofort in Sprachkurse stecken“), Praktika, Anknüpfung an bereits erworbene Qualifikationen („Die vorhandenen beruflichen Qualifikationen schnell erfassen und nutzen“), Aus- und Weiterbildung sowie Arbeitsplätze stehen an erster Stelle. Allerdings gehört laut Wetz zu alledem auch die Akzeptanz und das Ausleben von „Sekundärtugenden“ wie Fleiß, Pünktlichkeit, Höflichkeit und etlichen mehr, Tugenden, die zu anderen Zeiten leider gering geschätzt wurden, die aber neben der Anerkennung der Gleichberechtigung und der Regelwerke im Grundgesetz zu den Säulen einer gelingenden Integration gehören. Dies von den zukünftigen neuen Bürgern unseres Landes zu fordern und umzusetzen, trage zum einen wesentlich zum Verlust des Fremdheitsgefühls bei den Flüchtlingen und Asylanten und zum anderen entscheidend zur Stärkung deren Selbstachtung bei. „Denn Selbstachtung, die nicht das Gefühl des Fremdseins ausschließt, ist problematisch. Freiheit darf nicht dazu genutzt werden, Freiheit abzuschaffen. Toleranz schließt nicht die Toleranz gegenüber Intoleranz ein. Es darf keinen Rabatt geben, wenn es um die Gleichberechtigung der Frau geht.“ Diese und weitere klare Aussagen prägten den Vortrag von Wetz.