„Man gibt etwas und kriegt etwas zurück“

Gießener Anzeiger vom 19.09.2015

„Man gibt etwas und kriegt etwas zurück“

GIESSEN (fod). „Wir sind mit Geld nicht zu bezahlen“, sagt Rosi Reuß, während sie dem rundum erneuerten Sandkasten der Kita St. Thomas Morus mit einem Rechen den letzten Feinschliff verpasst. Dieser Satz beschreibt perfekt das große Engagement, das gestern über 200 Menschen – oder „400 helfende Hände“, wie es Mitorganisatorin Patricia Ortmann nannte – beim zweiten Freiwilligentag zeigten, zu dem nach dem riesigen Erfolg im Vorjahr wieder das Freiwilligenzentrum für Stadt und Landkreis Gießen sowie die Bürgerstiftung Mittelhessen aufgerufen hatten. Laut dem Stiftungsvorsitzenden Klaus Arnold war es ein deutlicher Zuwachs, nachdem 2014 noch um die 150 Menschen beteiligt waren. Die von ihm am Morgen zum Startschuss auf dem Rathausvorplatz mitgebrachten Arbeitshandschuhe mit dem zur Aktion passenden Logo fanden sofort reißenden Absatz bei den Freiwilligen, die sich gleich danach, sofern nicht bereits geschehen, zu ihren Einsatzorten aufmachten.

Und das in vielen Fällen nicht mit leeren Händen. So war es Ortmann gelungen, rund 40 Kisten, randvoll mit Spielsachen namhafter Hersteller, nach Gießen zu holen, die zur Aktion „Zusammen spielen“ der Bundesregierung gehören, mit der das gemeinsame Spielen von einheimischen und Flüchtlingskindern gefördert werden soll. An der Pestalozzischule wurde eine der Kisten im Spielraum der Ganztagsschule von Schulleiterin Anne Peters und zahlreichen Kindern in Empfang genommen. Doch egal, ob die Kleinen nun aus Syrien, Afghanistan oder eben Gießen stammen – als die Bausteine oder Bilderbücher erst mal auf dem Tisch lagen, spielten Herkunft oder Sprachbarrieren keine Rolle mehr. „Wir möchten uns in der aktuellen Flüchtlingssituation selbst ein bisschen einbringen“, beschrieb Mariella Kirchmann, hier eine von sechs Freiwilligen, ihre Motivation. Neben Helfern der Immobilienverwaltung Kirchmann waren auch Mitglieder der Aktion „Perspektiven“ an der Schule im Einsatz.

Überhaupt galt dieses Mal der Großteil der Projekte den Flüchtlingen. Dass viele Angebote dieses Thema im Fokus hätten, fand Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz „ganz besonders erfreulich“, wie sie am Morgen betonte. Sie dankte wie auch Landrätin Anita Schneider allen Helfern und Organisatoren. Aus Sicht von Schneider „macht dieser Tag Werbung fürs Ehrenamt“ und biete die Möglichkeit, in diesen Bereich „mal hineinzuschnuppern. Der Freiwilligentag ist so vielfältig wie unsere Gesellschaft“, sagte sie.

Gleich einen ganzen Wandertag inklusive Grillen auf dem Schiffenberg und anschließendem Bowling hatten die Unicef-Hochschulgruppe und Auszubildende von Sommerlad für eine Flüchtlingsklasse der Friedrich-Feld-Schule (FFS) organisiert. „Man gibt etwas und kriegt etwas zurück“, meinte dazu Ali Can (Unicef). So habe man neben viel Spaß auch einige arabische Wörter gelernt. Weitere FFS-Schüler aus Ländern wie Somalia oder Eritrea kochten derweil mit Bürgern in der Küche der Evangelischen Familienbildungsstätte in Wieseck. Laut Klassenlehrerin Christina Lang sei die Klasse, ein Vorbereitungskurs zum Hauptschulabschluss, überhaupt erst seit zwei Tagen zusammen. Zudem verfügte kaum einer von ihnen über Küchenerfahrung. „Wir helfen uns einfach gegenseitig“, sagte Jörn Dreier, einer der Freiwilligen. Sein Partner am Herd war Samuel Tekleab, der sich das Kochen eines traditionellen eritreischen Gerichts mit Rindfleisch, Linsen und Tomaten vorgenommen hatte. Mit sogar 22 Personen war das Managementteam der Firma Lidl aus Butzbach zur Sophie-Scholl-Schule in der Rödgener Straße gekommen und veranstaltete dort ein Fest für Flüchtlings- und einheimische Kinder mit Torwandschießen, Hüpfburg und anderen Aktionen. Im Verlauf des Tages strömten immer mehr Eltern mit ihren Kindern aus der nahe gelegenen Erstaufnahmeeinrichtung herbei, denn die Freiwilligen hatten auch zahlreiche Kisten mit gesammelten Spielsachen und Kleidung mitgebracht, was sich offenbar herumsprach. „Alles wurde sehr gut angenommen“, berichtete später Lidl-Mitarbeiterin Sandra Neurohr.

Der Verschönerung der Außenfassade des Vereinsheims des MTV 1846 Gießen widmeten sich Zehnklässler der Aliceschule. Unter Anleitung von Künstler „Scid“ kreierten sie Graffiti-Motive von Sportarten, die im Verein vertreten sind. Während auf der anderen Gebäudeseite Azubis von Sommerlad Pflanzenbeete vom Unkraut befreiten. Zur selben Zeit hatten die „Grünen Engel“ rund um die Kita St. Thomas Morus nicht nur Narzissen- oder Tulpenzwiebeln gelegt, sie richteten auch den nicht mehr nutzbaren Sandkasten wieder her. „Das sah vorher schlimm aus“, war an beiden Orten immer wieder zu hören. Auf eine frisch gestrichene Caféteria dürfen sich die Bewohner des Awo-Seniorenheims im Tannenweg freuen, dank tatkräftiger Mithilfe des Grünberger Malerbetriebs Koch und zweier Freiwilliger des Hilfeverbunds Wohnen und Arbeit.

Die hier aufgeführten Projekte sind natürlich nur eine kleine Auswahl des Freiwilligentages. Bei der Abschlussveranstaltung am Nachmittag, wieder vor dem Rathaus, berichtete Patricia Ortmann von „vielen wahnsinnig positiven Rückmeldungen“ und zeigte sich „total zufrieden“ mit dem Verlauf des Tages. Klaus Arnold konnte dem nur beipflichten. Dass jedoch zuvor ein Mitarbeiter des Ordnungsamtes dem Inhaber des Wagens, mit dem die Lautsprecheranlage für die Ostschulband „OSTinato“ auf den Platz gebracht worden war, ein Knöllchen gegeben hatte, sorgte für einige Verärgerung.Zehntklässler der Aliceschule verzieren unter Anleitung von Künstler „Scid“ die Außenfassade des MTV-Vereinsheims mit Graffiti-Motiven der dortigen Sportarten. Die Pflege der Grünanlagen übernehmen Azubis von Sommerlad. Fotos: Docter