„Bildung ist megawichtig für mich“

An Stellwänden werden einzelne Schicksale vorgestellt. (Foto: Maywald)

Gießener Anzeiger vom 22.04.2015

„Bildung ist megawichtig für mich“

GIESSEN (fm). Mit Sätzen wie „Ich bin unendlich dankbar“ und „In Deutschland werde ich wie ein Mensch behandelt“ löste der 26-jährige Salman Hosseinzada in der Aula des Landgraf-Ludwigs-Gymnasiums (LLG) Applausstürme unter den 150 Oberstufenschülern aus. Begleitet von der Lehrerin Christina Lang, die sich an der Friedrich-Feld-Schule (FFS) in Unterrichtsprojekten um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge kümmert, schilderte der gebürtige Afghane den unvorstellbar schwierigen Weg von Jugendlichen aus den Krisengebieten der Welt nach Europa und nach Deutschland.

Vor rund 150 Schülern ging es vor allem darum, „die menschliche Dimension“ zu beleuchten und zu zeigen, „wie so ein Lebenslauf aussehen kann“, verdeutlichte LLG-Lehrerin Hilde Hammermann. Die für elf Flüchtlingsklassen zuständige Abteilungsleiterin Doris Schlosser berichtete, dass es an der FFS zurzeit fünf – ab Mai sechs – Klassen für 70 Jugendliche unter 18 gebe, die ohne Familie in Deutschland seien. Während ihrer bis zu 18 Monate dauernden Clearingverfahren schwebten sie „in völliger Ungewissheit“, ehe sie auf Wohngruppen verteilt würden. Weitere 70 Jugendliche bis 21 – darunter mehrere Analphabeten – erhielten in fünf Klassen 20 bis 24 Stunden Deutschunterricht, um den Hauptschulabschluss zu machen.

Für Christina Lang, die zusammen mit der Klasse 10K1 bereits 2013 für ihre vorbildliche Arbeit am „Integrationsprojekt DaZuLERNEN“ mit einem Sonderpreis ausgezeichnet wurde, ist „Sprache der Schlüssel zur Integration“. Daneben seien Respekt, Empathie und Toleranz in der Schule das Gebot der Stunde. Mehr als die Hälfte der Oberstufenschüler erklärte sich schließlich dazu bereit, in der Hausaufgabenhilfe für die jugendlichen Flüchtlinge mitzuarbeiten, ihnen beim Deutschlernen zu helfen und etwas für ihre Integration zu tun. „Bildung ist ein absolutes Luxusgut für diese jungen Leute“, betonte Lang. An der FFS gebe es ganz viele Bootsflüchtlinge, die aber „nicht ständig darüber sprechen“ wollten. Die Lehrer seien jeden Tag mit den unterschiedlichsten Sprachen konfrontiert und lernten selbst sehr viel. In ihrem bisherigen Leben sei für die Jugendlichen „Leben und Lernen in Frieden“ niemals möglich gewesen. Im Januar und Februar kamen bisher 152 nach Gießen. Bis Jahresende werden es laut Prognosen rund 1000 sein.

An zwei Stellwänden in der Aula waren die Gesichter zu 16 Schicksalen von jugendlichen Flüchtlingen zu sehen, die oft unter Lebensgefahr lange Irrfahrten nach Europa zurücklegen mussten. Laut dem Hüttenberger Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Klaus-Dieter Grothe, der seit rund 20 Jahren mit traumatisierten Jugendlichen und Erwachsenen arbeitet, haben die meisten von ihnen auf der Flucht „mehr als ein einfaches Trauma“ durchgemacht und an einem „Gefühl der Entwurzelung“ gelitten.

Gebannt lauschten die LLG-Schüler, als Salman erzählte, dass er als Sechsjähriger mit seiner Familie in den Iran geflohen war, wo er aufwuchs und sein Abitur gemacht hat. Ohne jede Zukunftsaussicht habe er sich 2011 auf den Weg gemacht und sei über die Türkei, Griechenland, Italien und Frankreich nach Deutschland gekommen. „Die Eltern sparen zehn bis 15 Jahre, um ihre Kinder auf die Flucht zu schicken und wissen nicht, ob ihr Kind überleben wird“, sagte Salman. In Griechenland habe er mit gekauften Papieren immer wieder versucht, einen Flug nach Deutschland zu bekommen. Dabei sei er 17 Mal verhaftet worden. In Deutschland fühlt sich Salman sicher und ist glücklich, dass er in Gießen die Schule besuchen darf. Auch wenn er – trotz bereits abgelegtem Abitur – hier erst noch den Hauptschulabschluss machen muss. „Diese Bildung ist megawichtig für mich.“ Denn ohne Sprachkenntnisse könne er keine kaufmännische Ausbildung machen.