Textilfabriken in »desolatem« Zustand

Gießener Allgemeine vom 03.12.2013

Gießen (mk). Gerade aus Afrika von einer zehntägigen Recherchereise zurückgekehrt, hatte er kaum geschlafen. Dennoch nahm sich Florian Willershausen, internationaler Chefreporter der Zeitschrift »Wirtschaftswoche«, die Zeit, über seinen Arbeitsalltag und seine Recherchen in den Textilfabriken von Bangladesh zu berichten.

Bei der Veranstaltungsreihe »Schule trifft Wirtschaft« sprach er vor Schülern der Friedrich-Feld Schule, wo der gebürtige Gießener einst selbst sein Abitur abgelegt hat.

Willershausen recherchiert in verschiedenen Ländern, um seinen Lesern die Globalisierung einfach zu erklären: »Wirtschaft auf Mikroebene«. Zur Zeit befasst sich der 31-Jährige vor allem mit der Textilindustrie in Bangladesh. Seine erste Reise dorthin hat er mit Außenminister Guido Westerwelle unternommen. Eine Textilfabrik, die er damals besichtigte, wirkte »vorbildlich«. Sein erster Gedanke damals: »Das kann nicht sein.«

Willershausen reiste dann noch zweimal nach Bangladesh, allerdings ohne Politiker. Was er da zu sehen bekam, war erheblich anders als beim offiziellen Besuch. »Die Zustände waren zum Teil unter aller Kanone«, so der Journalist. Er habe in den Textilfabriken Mädchen gesehen, deren Alter man aufgrund der Unterernährung kaum habe schätzen können. Zum allgemein desolaten Zustand der Hallen kämen zum Beispiel vergitterte Fenster oder fehlende Feuerlöscher hinzu.

Bei den Oberstufenschülern stieß das Thema auf großes Interesse. Auf die Nachfrage einer Schülerin, welche Firmen in solchen Fabriken produzieren ließen, entgegnete Willershausen: »Also, H&M gibt sich wirklich Mühe, sauber fertigen zu lassen.« Es seien eher kleinere Unternehmen, die mit fragwürdigen Produzenten zusammenarbeiteten. Diese Fabriken könnten gar nicht die Stückzahlen liefern, wie sie Unternehmen wie H&M bräuchten. Unter schlimmen Bedingungen genäht könne sein, was man beispielsweise bei Ernsting’s Family, Primark, KiK und New Yorker kauft.

Mit der Reportage, die im Zuge dieser Reisen entstand, wolle er einen Dialog fördern, so Willershausen. »Ganz aus Bangladesh rauszugehen, ist auch keine Lösung.« Schließlich seien die Arbeiterinnen und Arbeiter dort auf die etwa 40 Euro Monatslohn angewiesen. Vielmehr komme es darauf an, ähnliche Projekte anzustoßen, wie H&M sie bereits gestartet hat. Das schwedische Unternehmen habe 60 Mitarbeiter in Bangladesh, die die Produktionsbedingungen vor Ort überprüften.

Zum Journalismus kam der Gießener schon mit 16 Jahren: Neben der Schule fing er an, als freier Journalist zu arbeiten. Auf einer Reise nach Kaliningrad entdeckte er seine Leidenschaft für Osteuropa. In Marburg, Mainz und dem russischen Twer studierte er Politikwissenschaft, Publizistik und Osteuropäische Geschichte und war einige Jahre Korrespondent in Russland. Aber auch Afrika fasziniere ihn: »Ich fliege wegen einer Geschichte hin, komme aber mit fünf zurück.« Dort falle ihm auf, wie ängstlich deutsche Unternehmer seien. In Uganda etwa gebe es nur einen deutschen Investor, aber hundert chinesische.

Gleich mehrere Schüler fragten, ob er genug Zeit für Familie und Freundin habe. »Wenn man sich damit arrangiert, dann geht das schon«, so Willershausen. (Foto: mk)